Missa Ad fugam ist neben der Missa Sine nomine eine von nur zwei Messen Josquins, die durchweg auf Kanons basieren. Er schrieb weitere Einzelsätze, die Kanons sind – das zweite Agnus Dei in seiner Missa L’homme armé super voces musicales ist ein besonders komplexes Beispiel dafür –, aber nur hier schöpfte er die Möglichkeiten so ausführlich aus, wie es die Musiksprache der Zeit zuließ. Diese Art, Musik zu schreiben, mag uns heute etwas akademisch erscheinen: Wer ist schon an einem mathematischen Gerüst interessiert, das für die meisten sowieso unhörbar bleibt? Josquin war es – so wie viele Komponistinnen und Komponisten nach ihm von Bach über Brahms bis zu Webern –, und es ist offensichtlich, dass ihn die Herausforderung, die die Bindung an ein derart strenges Muster mit sich bringt, besonders reizte.
Wer ist schon an einem mathematischen Gerüst interessiert, das für die meisten sowieso unhörbar bleibt? Josquin war es – so wie viele Komponistinnen und Komponisten nach ihm von Bach über Brahms bis zu Webern.
Die beiden rein kanonischen Messen scheinen an den entgegengesetzten Enden von Josquins kompositorischer Laufbahn entstanden zu sein. Ad fugam, einem frühem Werk, ist leichter zu folgen; tatsächlich ist sie so viel einfacher gehalten, dass Josquin die spätere Sine nomine durchaus als Gegenstück zu ihr konzipiert haben könnte, um zu demonstrieren, wie viel besser er diese Verfahren nun, gegen Ende seines Lebens, beherrschte.
Ad fugam gilt als frühes Werk einerseits wegen der besonders strikten Anwendung des kanonischen Prinzips, zum anderen, weil das gemeinsame Material, mit dem jeder Satz anfängt, zehn Takte lang ist (im Vergleich mit späteren Werken eine beträchtliche Länge); außerdem gibt es eine Originalquelle in der Universitätsbibliothek Jena, die einige Revisionen des Schreibers – womöglich Josquin selbst – für die Kanons im Sanctus und Agnus zu überliefern scheint. In der Musik dieser Zeit erhalten wir nur äußerst selten Einblicke in Überarbeitungen; in diesem Fall ist der Unterschied zwischen den langgezogenen, an Josquins Vorgänger und Vorbild Johann Ockeghem erinnernden Linien des Originals und dem reduzierteren, gestrafften Denken der späteren Fassung sehr aufschlussreich.
Derartiger strenger Kanon stellt eine kompositorische Herausforderung dar, die weit über die Schwierigkeiten eines bloßen cantus-firmus-Satzes hinausgeht.
Der Kanon spielt sich in Ad fugam immer zwischen der Oberstimme und der jeweils dritten Stimme und immer im Quintabstand ab. Da sich dieses Muster durchweg exakt wiederholt, ist es relativ einfach zu hören. Verfolgen Sie zum Beispiel zu Beginn des ersten Kyrie den Sopran und Tenor, um das kompositorische Schema nachzuvollziehen. Mithilfe dieser Melodie können Sie dann den Eröffnungstakten aller Sätze folgen. Derartiger strenger Kanon stellt eine kompositorische Herausforderung dar, die weit über die Schwierigkeiten eines bloßen cantus-firmus-Satzes hinausgeht. Es half sicher, dass Josquin die Melodien, die er dann kanonisch verarbeitete, selbst geschrieben hatte. Doch seine Entscheidung, sich so streng an das Muster zu halten, führte zu einer Messvertonung von außergewöhnlich dichter und einheitlicher Textur.
© Peter Phillips / Gimell Records, deutsche Übersetzung von Renate Wendel