Die Missa Hercules Dux Ferrariae entstand für Ercole I. d’Este von Ferrara, möglicherweise als Josquin 1503/04 an seinem Hof beschäftigt war. Um die Konstruktion dieser Messe zu verstehen, muss man sich zunächst darüber bewusst sein, dass Herzog Ercole Wert darauf legte, seinen Namen möglichst oft und deutlich gesungen zu hören. Daher verwendete Josquin die Vokale seines Namens und Titels, HErcUlEs DUx FErrArIaE, und transformierte sie mithilfe der Solmisationssilben des Guidonischen Hexachords rE - Ut - rE - Ut - rE - lA - mI - rE in eine nette kleine Melodie:
Dann lässt er diese Folge von acht Tönen insgesamt 47 Mal singen, und zwar fast ausschließlich im Tenor, der am besten hörbaren Stimme. Diese Melodie wird umso deutlicher, da sie einerseits nicht auf den Messtext, sondern Ercoles Namen gesungen wird und andererseits oft aufeinanderfolgend in drei unterschiedlichen, aufsteigenden Tonlagen erklingt, so dass sich dadurch ein Klangcrescendo ergibt – dieses dreifache Auftreten der Melodie könnte man das vollständige „Thema“ der Messe nennen. Manchmal, etwa im „Hosanna“, werden die Notenwerte auch stufenweise halbiert, während die Tonlage erhöht wird, so dass sich gegen Ende des Satzes ein zusätzliches Spannungscrescendo einstellt.
Am Ende des „Hosanna“ fasst Josquin alles zusammen, was er in dieser Vertonung erreichen wollte, und man darf annehmen, dass Ercole angesichts des jubilierenden Texts an dieser Stelle mit dem Werk zufrieden war. Es ist auch möglich, dass sich Josquin durch Ercoles Hang zur Selbstverherrlichung dazu ermutigt fühlte, das ,,Ercole-Thema“ im Laufe der fünf Sätze zwölf Mal „vollständig“ erklingen zu lassen – eine Anspielung auf die zwölf Heldentaten des Herkules.
Doch ist diese Messe wohl nicht in erster Linie für das Ercole-Thema berühmt, sondern eher für den Kontrapunkt, den Josquin darum herum konstruierte. Damit tat er effektiv das, was Bach über 200 Jahre später so oft in seinen Choralvorspielen tat – er ließ die umliegenden Stimmen zuerst einsetzen, bevor die Hauptmelodie in schlichter und deutlicher Form inmitten des Geschehens hinzutritt.
Die Kontrapunkte sind im dritten Agnus, wo das Ensemble von vier auf sechs Stimmen aufgestockt wird, am bezauberndsten. Die Soprane (die endlich auch einen Teil des Themas singen dürfen) erklingen in einfachem Kanon mit den Tenören (die es hier zum letzten Mal vollständig singen), doch ist es eigentlich der Satz der anderen Stimmen darum herum, der diese Vertonung zu einem Meisterwerk Josquins macht – auch hier wollte er mit dem Schlusssatz der Messe das Vorangegangene zusammenfassen und krönen.
© Peter Phillips / Gimell Records, deutsche Übersetzung von Viola Scheffel