Missa Faysant regretz

Aus einem einfachen Viertonmotiv konstruiert Josquin in der Missa Faysant regretz seine vielleicht dichteste und mitreißendste Polyphonie.

Das Ausgangsmaterial für die Missa Faysant regretz war ein dreistimmiges Rondeau von Walter Frye oder Gilles Binchois. Diesem Stück entnahm Josquin drei Elemente: ein Viertonmotiv, F-D-E-D, sowie zwei weitere Motive, die nur im dritten Agnus Dei verwendet werden. Bevor wir dort ankommen, erklingt in den vorhergehenden Sätzen eine besonders dicht gearbeitete Polyphonie, eine Art Renaissance-Version von Bartóks drittem Streichquartett, in dem ebenfalls nicht ein einziger Ton verschwendet ist.

Hier gibt es keine hörbare Struktur, an der man sich festhalten könnte: stattdessen wird man in eine äußerst intellektualisierte Welt von vielgestaltigen, umherwirbelnden Anspielungen und Wiederholungen befördert – ein Gipfelpunkt in Josquins Kunst.

Josquins Vierton-Motto erklingt über 200 Mal und ist in allen Stimmen fast ununterbrochen zu hören – in unterschiedlichen Tonlagen und in unterschiedlichen rhythmischen Formen. Hier gibt es keine hörbare Struktur, an der man sich festhalten könnte: stattdessen wird man in eine äußerst intellektualisierte Welt von vielgestaltigen, umherwirbelnden Anspielungen und Wiederholungen befördert – ein Gipfelpunkt in Josquins Kunst.

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Das Kyrie der Missa Faysant regretz im Maximiliankodex, ca. 1510 (© Österreichische Nationalbibliothek Wien, Cod. 15495)

Zwei Momente sollten dabei näher besprochen werden. Im dritten Agnus kommt nicht nur das F-D-E-D-Motiv zum Einsatz (es wird in diesem Satz allein 25 Mal gesungen), sondern auch ein neues Viertonmotiv D-D-E-D, das aus dem Tenor des Rondeaus stammt und hier 24 Mal von den Altstimmen und in stets transponierter Lage übernommen wird. Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, singen die Soprane zum ersten Mal die Superius-Melodie des Rondeaus vollständig – dadurch ist dieser Satz relativ lang. Darunter geht die motivische Arbeit unermüdlich weiter. Es erfordert eine gewisse Auffassungsgabe, um alle Feinheiten mitzubekommen, die sich durch die Verarbeitung von zwei Motiven – F-D-E-D und D-D-E-D – ergeben, die so kurz und einander so ähnlich sind, dass die meisten Komponisten sie gar nicht als eigenständige Einheiten behandeln würden.

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Die Altstimme im dritten Agnus Dei der Missa Faysant regretz (Maximiliankodex, ca. 1510, © Österreichische Nationalbibliothek)

Wem eine derart intensive Arbeit mit so wenigen Tönen obsessiv vorkommt, sollte sich das „Amen“ des Credo anhören – wahrscheinlich meine Lieblingspassage in den 18 Messen Josquins insgesamt. In fortschreitendem Alter tendierte Josquin mehr und mehr dazu, in seinen Melodien immer wieder zum selben Ton zurückzukehren, und hier ergibt sich durch so einen wiederkehrenden Ton (D) eine unvergessliche Phrase. Obwohl die anderen Stimmen darauf anspielen, sind es die Soprane, die nicht von ihm ablassen können. Eine erstaunliche Konzeption, deren Ausführung ein fesselndes Unterfangen ist.

© Peter Phillips / Gimell Records, deutsche Übersetzung von Viola Scheffel





Die Messen

Die Messen

Jan van Eyck, Genter Altar (1432, Ausschnitt) © artinflanders.be (Foto: Hugo Maertens, Dominique Provost)

Achtzehn Mal hat Josquin den Text des lateinischen Messordinariums in Musik gesetzt und dabei für jede seiner Vertonungen eine ganz eigene kompositorische Methode und Klangwelt geschaffen. Lernen Sie die musikalische Vielfalt der Messen mit den preisgekrönten Aufnahmen der Tallis Scholars und Essays ihres Gründers und künstlerischen Leiters Peter Phillips kennen.

Missa Une mousse de Biscaye

Die spätmittelalterlichen Wurzeln von Josquins Musiksprache sind in der Missa Une Mousse de Biscaye, einer seiner ersten Messvertonungen überhaupt, vielleicht am deutlichsten zu hören.

Missa L’ami Baudichon

Schon zu Beginn seiner Laufbahn experimentierte Josquin in der frühen Missa L’ami Baudichon mit den Möglichkeiten der Form.

Missa Ad fugam

Komplexe Kanons waren für alle Komponisten des 15. Jahrhunderts eine wichtige Bewährungsprobe. Josquin schrieb zwei Messen, die vollständig auf Kanons basieren – Ad fugam, die frühere der beiden, ist womöglich sein mathematisch strengstes Werk.

Missa Di dadi

Kann man eine Renaissance-Messe durch Auswürfeln komponieren? Die Missa Di dadi zeigt Josquins Leidenschaft für mathematische Spielereien – und für das Glücksspiel.

Missa D’ung aultre amer

Josquins kürzeste Messvertonung basiert auf einer Chanson seines Lehrers Johannes Ockeghem und enthält eine bewegende musikalische Verneigung vor dem älteren Komponisten.

Missa Gaudeamus

Die Missa Gaudeamus verkörpert die Kunstfertigkeit der Renaissance in ihrer intensivsten Form. Ausgehend von einer umfangreichen Choralmelodie kommen hier ausgeklügelte und tatsächlich hörbare mathematische Kompositionsverfahren zum Einsatz.

Missa La sol fa re mi

Der Name ist Programm: Missa La sol fa re mi basiert auf den fünf Noten, die diesen Solmisationssilben im mittelalterlichen Tonsystem entsprechen. Mit einem derart kurzen und vielseitigen Motiv eröffnete sich Josquin ungeahnte Möglichkeiten der musikalischen Bezüge und Verweise.

Missa Hercules Dux Ferrariae

Für seinen damaligen Arbeitgeber Herzog Ercole I. von Ferrara verwandelte Josquin kurzerhand dessen Namen in ein musikalisches Motiv und komponierte auf dieser Grundlage eine ganze Messe.

Missa Faysant regretz

Aus einem einfachen Viertonmotiv konstruiert Josquin in der Missa Faysant regretz seine vielleicht dichteste und mitreißendste Polyphonie, eine Welt von vielgestaltigen, umherwirbelnden Anspielungen und Verweisen.

Missa Ave maris stella

Kompakt, geschmeidig, prägnant – die Missa Ave maris stella ist das Werk eines sehr selbstbewussten Komponisten, der nicht nur sein Handwerkszeug souverän beherrscht, sondern seiner ganzen Zunft den Weg in die Zukunft weist.

Missa Fortuna desperata

Das Rad der Fortuna dreht sich in Josquins Missa Fortuna desperata – einer der ersten Messen überhaupt, die nicht mehr auf einer einfachen Melodie, sondern auf einer mehrstimmigen Vorlage basieren.

Missa L’homme armé super voces musicales

In der Missa L’homme armé super voces musicales finden sich einige von Josquins mathematisch komplexesten Kompositions-Kniffen – eine Demonstration seiner kombinatorischen Fähigkeiten und ein echtes Wunderwerk für seine Zeitgenossen.

Missa L’homme armé sexti toni

Josquins zweite Messvertonung auf Grundlage der populären L’homme-armé-Melodie wirkt wie eine freie Fantasie über das Lied vom „bewaffneten Mann“ – die große Bandbreite an Texturen und scheinbar mühelos gesetzte Kanons erinnern an minimalistische Klangwelten à la Philip Glass.

Missa Malheur me bat

Viele von Josquins Messvertonungen finden ihren Höhepunkt im letzten Satz, nicht unähnlich einer romantischen Symphonie: Das Agnus Dei der Missa Malheur me bat ist ein beeindruckendes Beispiel dafür.

Missa Sine nomine

Die „namenlose“ Missa Sine nomine ist Josquins zweite rein kanonische Messe und zeigt seine ganze Erfahrung mit mathematischen Kompositionstechniken.

Missa De beata virgine

Zu Josquins Lebzeiten wurde diese Messe von allen seinen Werken wahrscheinlich am häufigsten aufgeführt – und sie faszinierte die Musiktheoretiker noch bis ins 18. Jahrhundert.

Missa Mater Patris

Missa Mater Patris steht für die kühne Schlichtheit des späten Josquin: Kein dichtes polyphones Geflecht mehr, sondern lichte, offene Strukturen, viel Witz und Verspieltheit.

Missa Pange lingua

Wahrscheinlich ist sie Josquins letzte Messe – ganz sicher aber eine seiner besten: Die Gleichberechtigung aller vier Stimmen in der Missa Pange lingua hat den weiteren Verlauf der europäischen Musikgeschichte entscheidend geprägt.