Das Ausgangsmaterial für die Missa Faysant regretz war ein dreistimmiges Rondeau von Walter Frye oder Gilles Binchois. Diesem Stück entnahm Josquin drei Elemente: ein Viertonmotiv, F-D-E-D, sowie zwei weitere Motive, die nur im dritten Agnus Dei verwendet werden. Bevor wir dort ankommen, erklingt in den vorhergehenden Sätzen eine besonders dicht gearbeitete Polyphonie, eine Art Renaissance-Version von Bartóks drittem Streichquartett, in dem ebenfalls nicht ein einziger Ton verschwendet ist.
Hier gibt es keine hörbare Struktur, an der man sich festhalten könnte: stattdessen wird man in eine äußerst intellektualisierte Welt von vielgestaltigen, umherwirbelnden Anspielungen und Wiederholungen befördert – ein Gipfelpunkt in Josquins Kunst.
Josquins Vierton-Motto erklingt über 200 Mal und ist in allen Stimmen fast ununterbrochen zu hören – in unterschiedlichen Tonlagen und in unterschiedlichen rhythmischen Formen. Hier gibt es keine hörbare Struktur, an der man sich festhalten könnte: stattdessen wird man in eine äußerst intellektualisierte Welt von vielgestaltigen, umherwirbelnden Anspielungen und Wiederholungen befördert – ein Gipfelpunkt in Josquins Kunst.
Zwei Momente sollten dabei näher besprochen werden. Im dritten Agnus kommt nicht nur das F-D-E-D-Motiv zum Einsatz (es wird in diesem Satz allein 25 Mal gesungen), sondern auch ein neues Viertonmotiv D-D-E-D, das aus dem Tenor des Rondeaus stammt und hier 24 Mal von den Altstimmen und in stets transponierter Lage übernommen wird. Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, singen die Soprane zum ersten Mal die Superius-Melodie des Rondeaus vollständig – dadurch ist dieser Satz relativ lang. Darunter geht die motivische Arbeit unermüdlich weiter. Es erfordert eine gewisse Auffassungsgabe, um alle Feinheiten mitzubekommen, die sich durch die Verarbeitung von zwei Motiven – F-D-E-D und D-D-E-D – ergeben, die so kurz und einander so ähnlich sind, dass die meisten Komponisten sie gar nicht als eigenständige Einheiten behandeln würden.
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Wem eine derart intensive Arbeit mit so wenigen Tönen obsessiv vorkommt, sollte sich das „Amen“ des Credo anhören – wahrscheinlich meine Lieblingspassage in den 18 Messen Josquins insgesamt. In fortschreitendem Alter tendierte Josquin mehr und mehr dazu, in seinen Melodien immer wieder zum selben Ton zurückzukehren, und hier ergibt sich durch so einen wiederkehrenden Ton (D) eine unvergessliche Phrase. Obwohl die anderen Stimmen darauf anspielen, sind es die Soprane, die nicht von ihm ablassen können. Eine erstaunliche Konzeption, deren Ausführung ein fesselndes Unterfangen ist.
© Peter Phillips / Gimell Records, deutsche Übersetzung von Viola Scheffel